Werde was du bist
Transphobie, Transsexualität, Transgender sind drei Begriffe in einer langen Geschichte des „Trans“ voller Unverständnis, Ausgrenzung und Gewalt, die viel zu oft bis hin zum Tode von unschuldigen Menschen führt. Im Stuttgarter Theaterhaus wurde jedoch ein neues, hoffnungsvolleres Kapitel in dieser Geschichte geschrieben. Vertreter von politischen Parteien und Amnesty International trafen sich zur offenen Podiumsdiskussion mit den transsexuellen Frauen Tina und Kim, Organisatorinnen der Veranstaltung und des Vereins ATME e.V., aus Stuttgart. Ein weiterer bekannter Gast war der früher erfolgreiche Stabhochspringer und jetzige Trainer Balian Buschbaum (u.a. Olympiateilnahme 2000) – ein deutschlandweit bekannter transsexueller Mann. Um auf die Diskussion einzustimmen wurde der mit 40 Preisen ausgezeichnete Hollywoodfilm über die letzten Tage und die Ermordung des transsexuellen Mann Brandon Teena (gespielt von Oskarpreisträgerin Hilary Swank) gezeigt. In weiteren Hauptrollen des Filmes nach einer wahren Begebenheit von Kimberly Peirce: Chloë Sevigny und die Seriendarstellerin Alicia Goranson (Roseanne). Es ist nach Meinung der Veranstalter bisher der einzige Film geblieben, der das Thema Transsexualität nüchtern und wahrheitsgemäß behandelt.
Als der Schauspieler Heinz Rühmann 1956 als „Charlys Tante“ in Frauenkleider schlüpfte, waren sein Kampf mit den Tücken von Frauenkleidung, seine zweideutigen Bemerkungen und seine hohe Fistelstimme so drollig, dass das Publikum ihm seine Liason mit dem Dritten Reich vergab und er an den alten Erfolg anknüpfen konnte. Er sollte mit dieser Travestienummer viele Nachfolger finden; zu den bekanntesten gehören Dustin Hoffmann in „Tootsie“ oder Martin Lawrence in den „Big Mama“ Kinofilmen. Eines haben diese drei Filme gemeinsam: hier werden Männer in Frauenkleidern gezeigt – und das hat nichts mit Transsexualität zu tun. Transsexuelle sind keine Männer in Frauen- oder Frauen in Männerkleidung – diese Grunderkenntnis ist überhaupt die Basis für das Verständnis des gesamten Abends und der Problematik dieser Menschen.
Der Kinosaal T4 ist bis auf den letzten Platz gefüllt, allein dies wird von den beiden Organisatorinnen als voller Erfolg gewertet. Nichtbeachtung schlägt ihnen sonst oft entgegen, schlimmer noch: Vielfach wurden schon als ernsthaft dargestellte Beiträge letztendlich im Sinne verkehrt und Transsexuelle wieder zur Zielscheibe von Spott und Belustigung gemacht. Sicherlich hat auch die prominente Gästeliste zum Besucher-Erfolg beigetragen: der bereits erwähnte Sportler Balian Buschbaum, Ute Vogt (SPD), Stefan Kaufmann (CDU), Ingrid Hönlinger (Die Grünen) und Flu Bäuerle (Amnesty International).
Über Transphobie
Tina erzählt die Geschichten um Sylvia Rivera, Judy Garland und die Auflehnung gegen polizeiliche Willkür und allgemeine Diskriminierung von 1969 beginnend im Stonewall Inn, einer Bar in der New Yorker Christopher Street. Geschichten, die rund um den C(hristopher) S(treet) D(ay) oft und viel erzählt werden. Nicht alle Erzählungen beinhalten aber die Tatsache, dass bei diesem Aufstand viele Transsexuelle beteiligt waren, also eine Gruppe von Menschen, die damals zunächst der „Gay-Szene“ zugeordnet wurde, später aber von derselben als Bauernopfer fallen gelassen wurde, um Gesetzesänderungen für Schwule und Lesben schneller zu ermöglichen. Das Phänomen Transsexualität schien Moralvorstellung und menschliches Geschlechterempfinden zu tief zu erschüttern.
„…tatsächlich ist der Alltag von Transsexuellen viel normaler und langweiliger als die meisten glauben wollen…“ führt Tina die Ausführung über den Ausschluss der Transsexuellen mit Humor zu Ende. Humor scheint oft die letzte Zuflucht zu sein, wenn man das Leben eines transsexuellen Menschen führen muss.
„Ich suche immer nach Bildern, um Transsexualität zu erklären“ führt Buschbaum aus und weiter „man fühlt sich wie ein viereckiges Haus, dem der Architekt fälschlicherweise ein rundes Dach verpasst hat – es regnet in alle vier Ecken….Durch die medizinischen Behandlungen will ich nun endlich dieses Dach schließen und zu einer Normalität kommen.“ Balian Buschbaum ist dies längst gelungen. Er habe viel Glück, Verständnis und Rückhalt erfahren, sonst wäre er wohl daran zerbrochen.
„Für einen Transsexuellen gibt es keinen Punkt, an dem er erkennt, dass man anders empfindet. Bereits im Alter von 5 Jahren hegte ich als Mann Gefühle für mein Kindermädchen. Und später in der Pubertät entdeckte ich, dass mir dazu etwas fehlte, dass mir die Natur da unten nichts wachsen ließ.“ Klare Worte, die jeder versteht.
Man hat mich schon gefragt, warum ich mich mit dem Thema befasse, warum ich an diesem Abend filme und man wird mich fragen, warum ich diesen Text schreibe. Und ich denke, es ist genau wegen diese Worte von Buschbaum: Ich stelle mir vor, wie es wohl für mich gewesen wäre – ich liebe meine Sexualität und meine Ehefrau – wenn mir das passiert wäre. Die Verzweiflung über das fehlende Geschlecht und vielleicht der Hass auf die gegebene, körperliche Geschlechtlichkeit. Die Wut über diesen Betrug und die Hilflosigkeit gegen Klischees wie „Frau in Männer- oder Mann in Frauenkleider“ anzukämpfen.
Wenn mir etwas fehlt, bin ich gewohnt, dass die Gesellschaft dafür Verständnis zeigt und mir ärztlich so gut wie möglich geholfen wird. Als ich zur Welt kam, waren die kleinen Finger an meinen beiden Händen nach innen gebogen, besonders stark an der rechten Hand. Kein schweres Schicksal, es bewahrte mich vielmehr vor unzähligen Übungsstunden mit der Blockflöte. Als ich allerdings bei meinem Wehrdienst mit dieser Hand nicht auf „Feinde der BRD“ schießen konnte, wurde der Finger sofort und kostenlos gerichtet (nach wie vor schieße ich auf niemanden). Jeder denkende Mensch würde nun davon ausgehen, dass ein transsexueller Mensch, der von Geburt an einen körperlichen Defekt hat, die gleiche, nur irgend mögliche Hilfe sofort erfährt. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Die Folgen
Wir hörten an diesem Abend von Fällen körperlicher und geistiger Untersuchungen in unserer heutigen Zeit, die man nur als im höchsten Maße entwürdigend und unmenschlich bezeichnen kann [Vergleiche dazu Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz]. Vorgenommen von Ärzten, Sachverständigen, Professoren, die allesamt einen Eid geschworen haben Kranken nicht zu schaden, die Schweigepflicht einzuhalten, und das Verbot jegliche sexueller Handlungen an Patienten vorzunehmen. Schlimmer noch: Ist der medizinische und nicht ungefährliche, schmerzhafte Teil überstanden, sieht sich der transsexuelle Mensch für die Änderung seiner Papiere einem psychiatrischen Verfahren ausgesetzt, das in Nichts der Zwangsmissionierung im frühen Mittelalter nachsteht: Um neue, korrekte Papiere zu erhalten muss sich der transsexuelle Mensch als psychiatrisch krank bekennen – es muss eine sogenannte sexuelle Identitätskrise vorliegen. Wer sich noch an die Aussagen von Buschbaum zum Thema Sexualität und Identität weiter oben im Text erinnert, weiß, dass dies in der Regel nur ein Lippenbekenntnis sein kann.
Das Klischee vom „Mann in Frauenkleidern“ ist damit zum Synonym geworden für eine angebliche psychische Krankheit, ein fatales Vorurteil – denn oft ist es ein Todesurteil für meist hilflose Menschen wie Brandon Teena. 2009 waren es weltweit 130 Opfer, 17 davon – also weit über 10% (!) – in Europa. Jemanden aufgrund von Vorurteilen zu töten ist die bestimmt furchtbarste und extremste Art der Transphobie, doch sollte man sich fragen, wie man selbst transsexuellen Menschen im Alltag begegnet und sich ihnen gegenüber verhält – zumindest wenn man diese überhaupt noch als transsexuell erkennen kann. Sieht man sich an diesem Abend um oder spricht man mit Transsexuellen, gerät die scharfe Linie, die wohl die meisten für sich gezogen haben, ins Wanken und in die Unschärfe (wie mein Film ganz gewollt an vielen Stellen). Ist ein Mann mit einem besonders kleinen Penis denn noch wirklich ein Mann – oder eine Frau mit ausgeprägtem Bart und tiefer Stimme wirklich eine echte Frau? Was denkt man, wenn ein(e) gute(r) Bekannte(r), mit dem man seit Jahren verkehrt, zum Sport geht, grillt,… einem offenbart, dass er/sie früher andere Geschlechtsorgane hatte? Ändert sich der Mensch für einen dadurch?
Ich denke jeder von uns ist genau das, was er ist – und oft ist es der weiteste Weg diese einfache Wahrheit zu erkennen oder wirklich dieser Mensch zu werden, so unglaublich dies zunächst klingen mag. Diesen Weg musste ich selbst auch wieder einmal gehen, denn ich muss zugeben, dass ich bei der ersten Begegnung mit Kim Schicklang Transphobie bei mir entdeckte. Obwohl ich sonst kaum Berührungsängste mit anderen Menschen zu haben glaubte und mich selbst als sehr offen empfand. Diese kurze Anflug von Unsicherheit vor der Fremdartigkeit wurde mir damals zum ersten Mal überhaupt bewusst, war doch Transsexualität niemals zuvor ein Thema für mich gewesen. Ich kann nur aus Erfahrung sagen: Wie bei vielen Ängsten im Umgang mit anderen Menschen oder dem Unbekanntem ist Transphobie allein auf Unwissenheit und Vorurteile gebaut, die mit einem Kennenlernen, der Auseinandersetzung oder so einem Abend sofort und gänzlich verschwindet.
Was bleibt von diesem Abend? Aufgrund der sorgfältig vorgetragenen, vielen bisher unbekannten und schrecklichen Fakten, hatten alle Besucher, ob nun auf der Bühne oder in den Rängen des Kinosaals, die gleiche Erkenntnis: Transphobie führt vielfach zur Diskriminierung, Benachteiligung und schlimmsten Fall zu Gewalt und Mord. Transphobie ist für Betroffene heute oft der Alltag – auch in unserer vermeintlich modernen, aufgeklärten Gesellschaften. Transsexuellen Menschen kann und muss aus gutem Grund geholfen werden. Angesichts dieser klaren Situation gab es auf dem Podium nicht viel zu diskutieren, vielmehr ging es zum Schluss darum Fragen zu klären und zusammenzufassen, was der Einzelne zur Verbesserung bezüglich der Transphobie beitragen kann. Die eingangs erwähnte lange Geschichte des „Trans“ ist bei weitem noch nicht zu Ende. Aber eine Veranstaltung wie diese trägt mit Sicherheit dazu bei. Mehr Informationen dazu findet man auf der Seite von ATME e.V..
Mein Beitrag über Transphobie wurde postum vom Japanischen Fernsehen in Übersetzung ausschnittsweise gezeigt und bei Youtube über 5.000 Mal aufgerufen. Die Resonanz ist bis dato ausschließlich positiv.